Anspruch auf Anwendung eines MwSt.-Satzes von 0% trotz fehlender Eintragung des Geschäftspartners als aktiven Mehrwertsteuerpflichtigen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Urteil in Bezug auf ein portugiesisches Unternehmen erlassen, in dem er sich zu der Möglichkeit äußerte, einen MwSt.-Satz von 0% im Falle eines ausländischen Geschäftspartners anzuwenden, der über keine MwSt.-Nummer verfügt. Die EuGH-Entscheidung ist auch auf polnische Steuerpflichtige anzuwenden.
Im Urteil in der Rechtssache C-21/16 wurde durch den EuGH der Rechtsstreit zwischen der portugiesischen Zweigniederlassung der niederländischen Gesellschaft Euro Tyre BV und der portugiesischen Finanzbehörde entschieden. Die Finanzbehörde versagte die Mehrwertsteuerbefreiung (die analog zur Anwendung eines MwSt.-Satzes von 0% in Polen ist) mehrerer Verkäufe an eine spanische Gesellschaft, denn zum Zeitpunkt dieser Verkäufe war der Geschäftspartner (d.h. die spanische Gesellschaft) weder in Spanien für innergemeinschaftliche Umsätze registriert noch im MIAS erfasst. Der Europäische Gerichtshof stellte jedoch fest, dass die formellen Anforderungen (d.h. Anmeldung des Subjekts als aktiven Mehrwertsteuerpflichtigen und dessen Verzeichnen im MIAS) den Anspruch des Verkäufers auf die Anwendung der für die innergemeinschaftlichen Umsätze vorgesehenen Abrechnung (d.h. der Steuerbefreiung mit dem Abzugsrecht bzw. eines MwSt.-Satzes von 0%) nicht in Frage stellen dürfen, falls die materiellen Voraussetzungen der Befreiung erfüllt wurden.
Weder in den Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU 2006 L437, S. 1, nachstehend Mehrwertsteuerrichtlinie genannt), noch in der bisherigen EuGH-Rechtsprechung wird unter den aufgezählten materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung, welche die Anwendung eines MwSt.-Satzes von 0% bedingen, die Verpflichtung des Erwerbers erwähnt, über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu verfügen, und erst recht dessen Verpflichtung, für innergemeinschaftliche Umsätze registriert zu sein. Gemäß der gefestigten Rechtsprechung sind die materiellen Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt, wenn das Recht, über den Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, an den Erwerber übertragen wurde und der Verkäufer beweist, dass dieser Gegenstand in einen anderen Mitgliedsstaat versandt oder befördert wurde und dass er infolge dieser Versendung oder Beförderung das Gebiet des Mitgliedsstaats der Lieferung physisch verlassen hat.
Zu den materiellen Voraussetzungen der Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gehört also weder, dass der Erwerber eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer für innergemeinschaftliche Umsätze erhalten hat, noch, dass er im MIAS erfasst ist. Es handelt sich dabei nur um formelle Anforderungen, die den Anspruch des Verkäufers auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht in Frage stellen können, sofern die materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind.
Das EuGH-Urteil ist auch relevant für die Auslegung der polnischen steuerrechtlichen Vorschriften. Art. 42 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. März 2004 über die Umsatzsteuer (d.h. GBl. 2016, FN 710 m.Ä.) macht die Anwendung des Steuersatzes von 0% von der Abwicklung der Lieferung an einen Erwerber abhängig, der über eine entsprechende und gültige Identifikationsnummer für innergemeinschaftliche Umsätze verfügt, die ihm von dem für ihn zuständigen Mitgliedsstaat vergeben wurde. In Bezug auf die Entscheidung des Gerichtshofs, der deutlich betont, wie wichtig der Grundsatz der mehrwertsteuerlichen Neutralität ist, soll der polnische Steuerpflichtige den Anspruch auf Anwendung eines Steuersatzes von 0% haben, falls er die materiellen Voraussetzungen erfüllt hat, unabhängig davon, ob der Erwerber als ein aktiver Mehrwertsteuerpflichtiger angemeldet wurde oder nicht. Natürlich kann in Zukunft die Erfüllung aller formellen Pflichten erforderlich sein, jedoch nie wird dies für die Abwicklung bzw. Nichtabwicklung der innergemeinschaftlichen Lieferung sprechen.
In dem analysierten Urteil legt der Gerichtshof erneut einen großen Wert auf die Notwendigkeit der Einhaltung des Grundsatzes der mehrwertsteuerlichen Neutralität durch inländische Finanzbehörden. Obwohl der Kampf gegen Vorsteuer-Erschleichung unerlässlich ist, weist der EuGH mit seiner Entscheidung klar darauf hin, dass das EU-Recht unabhängig von der Politik der einzelnen Mitgliedsstaaten die fundamentalen Grundsätze für die Mehrwertsteuer weiterhin behütet.
Unabhängig von der EuGH-Entscheidung ist jedoch zu beachten, dass sich manche europäische Länder sowie die Europäische Kommission für die Notwendigkeit aussprechen, die Anforderung der Registrierung des Erwerbers für innergemeinschaftliche Umsätze als eine der Voraussetzungen der Inanspruchnahme der Mehrwertsteuerbefreiung für diese Umsätze in der Mehrwertsteuerrichtlinie zu erfassen. Obwohl die Einführung solcher Regelungen in das europäische Rechtssystem die Notwendigkeit der Vereinheitlichung der Grundsätze für die Eintragung und Abmeldung der aktiven Mehrwertsteuerpflichtigen in den einzelnen Mitgliedsstaaten zur Folge haben wird, soll man mit der eventuellen Änderung der EU-Vorschriften in diesem Bereich rechnen. Aus diesem Grund wird weiterhin empfohlen, bei den ausländischen Erwerbern Informationen über ihre Registrierung für innergemeinschaftliche Umsätze einzuholen, umso mehr, als dies eines der Elemente von Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Geschäftspartner ist.
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