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Was ist tatsächlich der gute Glaube hinsichtlich der USt-Abrechnung (Teil 1)?

Przemysław POWIERZA
Tax Partner bei RSM Poland

Sicherlich hörten Sie bereits nicht einmal von dem Grundsatz des guten Glaubens und von der Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt bei der Abrechnung der Umsatzsteuer (USt). Diese Frage wurde mehrmals durch Gerichte – sowohl polnische, als auch durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) angesprochen, was bedeutet, dass die Steuerpflichtige ziemlich oft in die Rechtsstreite in diesem Bereich mit den Finanzbehörden eintreten. 

Zuletzt wurde durch das Finanzministerium auch die „Methodik für Beurteilung der Einhaltung von erforderlichen Sorgfalt durch Leistungsempfänger bei inländischen Umsätzen" herausgegeben – mehr dazu können Sie in einer Reihe der Beiträge Wie soll man die Geschäftspartner überprüfen, um in den Steuerbetrug nicht verwickelt zu werden auf unserem Blog (hier) lesen. Trotzdem interpretieren die Finanzbehörden weiterhin den Begriff des guten Glaubens ein bisschen anders als z.B. der EuGH und manche Spruchkörper in den polnischen Verwaltungsgerichten. In diesem Kontext ist insbesondere das Urteil des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts (WSA) Wrocław vom 10. Juli 2018 mit dem Az. I SA/Wr 256/18 zu beachten, welches in seinen Entscheidungsgründen das Rechtsprechungsgut Polens und der EU in einem hohen Maße in Anspruch nahm. Ich bewerte dieses Urteil in Bezug auf seinen Inhalt sehr hoch, deswegen möchte ich es als den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen nutzen.

In der analysierten Rechtssache erwarb die Gesellschaft, die mit dem Schrott handelte, die Stahlerzeugnisse und Kupferkathoden und dann verkaufte sie weiter. Der Erwerb erfolgte grundsätzlich im Rahmen der inländischen Umsätze. Der Steuerpflichtige wies den entsprechenden USt-Satz für solche Umsätze, d.h. 23% aus und zugleich hatte er den Anspruch auf die Abrechnung der auf den Eingangsrechnungen ausgewiesenen Vorsteuer. Der Großteil des Verkaufs dieser Waren erfolgte hauptsächlich an die ausländischen Geschäftspartner, die in den anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union registriert sind. Der Verkauf wurde also im Rahmen der innergemeinschaftlichen Lieferung (igL) durchgeführt und berechtigte die Gesellschaft zur Anwendung des USt-Satzes von 0%.  Dadurch generierte die Gesellschaft regelmäßig einen hohen Überschuss der Vorsteuer über die geschuldete Steuer. Einerseits war sie also eine Steuerpflichtige, die mit der sog. empfindlichen Ware handelte, welche seit Jahren Gegenstand ständiger kritischer Untersuchung ist, andererseits aber wurde der hohe Überschuss der Vorsteuer über die geschuldete Steuer regelmäßig und systemseitig aufgrund der Verkaufsstruktur und der Besteuerungsgrundsätze der innergemeinschaftlichen Umsätze generiert.

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Im Rahmen der durchgeführten Betriebsprüfung im Bereich der Umsatzsteuer, welche die Abrechnungen für den Zeitraum vom Oktober 2012 bis Juni 2013 betraf, stellte die Finanzbehörde fest, dass die Gesellschaft weder Anspruch auf den Abzug der Vorsteuer hatte noch zur Anwendung des USt-Satzes von 0% im Rahmen der igL war. Der Vorsteher des Finanzamtes ermittelte, dass die Waren, mit denen die Gesellschaft handelte, auf den früheren Stufen des Umsatzes zum Steuerbetrug genutzt wurden, der auf der Erschleichung der Umsatzsteuer beruhte. Nach Auffassung der Finanzbehörde hielt die Steuerpflichtige die erforderliche Sorgfalt nicht ein und sie handelte nicht gutgläubig – sie sollte wissen, dass die Geschäfte, die sie alleine auf der späteren Stufe des Umsatzes abwickelt, ein Bestandteil eines Steuerbetrugs sind. Gleich betrachtete diese Sache die Behörde zweiter Instanz bei der Prüfung des Widerspruchs und auf diese Weise wurde die Sache an das Gericht weitergeleitet.

Bei der Prüfung der Beschwerde teilte das Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław den Standpunkt der Finanzbehörden nicht und es hob den durch die Steuerpflichtige angefochtenen Bescheid auf. In den Entscheidungsgründen wurde eine detaillierte Analyse über Methode der Durchführung des Beweisverfahrens und des Konzepts des guten Glaubens dargestellt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags ist dieses Urteil noch nicht rechtskräftig. Man muss aber betonen, dass die Anfertigung einer sinnvollen Revision in diesem Fall eine große Herausforderung sein wird.

In der ersten Reihe wies das Gericht auf die Tatsache, dass das Recht auf Vorsteuerabzug keine Steuerermäßigung, sondern ein fundamentales Rechts eines Steuerpflichtigen ist. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bedarf, dass die Mehrwertsteuer harmonisiert ist. Dies bedeutet, dass ähnliche Waren und Dienstleistungen auf dem Gebiet jedes EU-Mitgliedslandes nach den gleichen Grundsätzen zu besteuern sind. Einer davon ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der voraussetzt, dass der Steuerpflichtige aufgrund der eigenen Abrechnungen weder mit dieser Steuer belastet wird noch an dieser Steuer etwas gewinnt. Das Recht auf Vorsteuerabzug gilt als ein Instrument zur Umsetzung dieses Grundsatzes. Die Gewährleistung der Neutralität der Mehrwertsteuer ist unentbehrlich, weil mit der wirtschaftlichen Last der Besteuerung mit dieser Steuer nicht der Mehrwertsteuerpflichtige, sondern der Endverbraucher (kein Steuerpflichtiger) belastet wird, der das jeweilige Gut (Ware oder Dienstleistung) für Konsumzwecke (Privatzwecke) erwirbt. Anders gesagt wird die wirtschaftliche Last der Steuer auf den Endverbraucher übertragen, weil Gegenstand der Besteuerung mit der Mehrwertsteuer einfach die Ausgaben des Endverbrauchers für Erwerb von Waren und Dienstleistungen sind.

Schildern wir das an einem Beispiel. Die Gesellschaft A kaufte von der Gesellschaft B die Stahlerzeugnisse (Garagenschränke), um sie zur Ausführung von steuerbaren Leistungen zu nutzen, u.a. um sie im Einzelhandel an eine Person weiterzuverkaufen, die keine Geschäftstätigkeit ausübt. Dieser Verbraucher zahlt an die Gesellschaft A den Bruttopreis  –sie enthält also die Umsatzsteuer, die diesen Verbraucher belasten soll. Die Gesellschaft A muss diese Steuer an das Finanzamt übermitteln, sie kann sich aber den Betrag abrechnen, die sie alleine als die Umsatzsteuer an ihren Zulieferer zahlte (denn USt darf die Gesellschaft A nicht belasten). An das Finanzamt überweist sie also nur die Differenz, die aus ihrer Sicht als fremdes Geld gilt, d.h. den durch den Verbraucher finanzierten Umsatzsteuerbetrag. Der Warenerwerb berechtigt also die Gesellschaft A zum Abzug der Vorsteuer, die sich aus der Eingangsrechnung ergibt. Auf der nächsten Stufe des Umsatzes ist die Gesellschaft A als Umsatzsteuerpflichtige zur Zahlung der Steuer verpflichtet. Die Mittel dafür erhält sie aber von ihrem Kunden, der Verbraucher ist. Die Gesellschaft A übermittelt an das Finanzamt nur die bei dem Leistungsempfänger erhobene Steuer, die im Warenpreis enthalten ist, rechnet sich dagegen das ab, was sie alleine an einen anderen Steuerpflichtigen (den an sie leistenden Unternehmer) gezahlt hat.

Das Gericht wies darauf hin, dass die Anwendung eines Satzes von 0% bei der igL sowie das Recht auf Vorsteuerabzug kein Vorteil (und somit keine Steuerermäßigung), sondern ein Konstruktionselement der Umsatzsteuer ist. Die innergemeinschaftliche Lieferung ist ein Sonderteil der Lieferung, die mit der Anwendung des USt-Satzes von 0% durch den leistenden Unternehmer und der gleichzeitigen Wahrung des Rechts auf Vorsteuerabzug zusammenhängt. Die Anwendung des USt-Satzes von 0% (Steuerbefreiung mit dem Abzugsrecht) ist nur dann möglich, falls:

  • das Recht auf Verfügung über die Ware als Eigentümer tatsächlich auf den Leistungsempfänger übertragen wurde;
  • es zur physischen Verlagerung der Waren zwischen den EU-Mitgliedsstaaten kam.

Legt der leistende Unternehmer alle Nachweise über die das ihm zustehende Recht auf Anwendung der Abrechnung der igL vor, dann darf ihm die Behörde das Recht auf die Anwendung des 0% Steuersatzes nicht versagen. Solche Abrechnungsmethode hat nämlich zur Folge, dass die Besteuerung tatsächlich in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegt wird, wo höchstwahrscheinlich der Endverbrauch der gelieferten Ware erfolgt. Sobald Gegenstand der Besteuerung mit der MwSt. die Konsumausgaben sind, stehen die Einnahmen aus dieser Steuer demjenigen Mitgliedsstaat zu, auf dessen Gebiet der Konsum zustande kommt. Die Anwendung des 0% Satzes hat also den technischen Charakter, der für eine richtige Abrechnung der MwSt. innerhalb der Union sehr wichtig ist.

Leider werden die vorgenannten Konstruktionsmerkmale der Mehrwertsteuer vorsätzlich von den unlauteren Steuerpflichtigen genutzt, welche die Betrüge vorbereiten, die auf Erschleichung dieser Steuer abzielen. Deswegen dürfen die Finanzbehörden nicht vergessen, dass irgendwelchen Beschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug bzw. der Anwendung des USt-Satzes von 0% bei der igL eine tiefgründige uns sachliche Prüfung der Sache vorangehen soll. Dabei hat man immer die grundlegenden Konstruktionsmerkmale der Mehrwertsteuer zu berücksichtigen und im Voraus nicht anzunehmen, dass sobald es in einer Obstkiste ein paar verdorbene Obststücke gibt, muss die ganze Kiste weggeworfen werfen. Es gibt hier keinen Platz für die Kollektivverantwortung aus zwei Gründen:

  1. die Bestrafung der Steuerpflichtigen, die der Finanzverwaltung in einem hohen Maße bei der Abrechnung der Steuer aushelfen, für fremde Fehler ist nicht zu rechtfertigen,
  2. zur geschickten Durchführung des Betrugs brauchen die Betrüger eine Nebelwand, d.h. ehrliche Steuerpflichtige. Die Automatische Bestrafung dieser Personen ist ausgeschlossen, falls sie von dem Betrug nicht wussten bzw. nicht wissen konnten.

Diese Frage besprechen wir im Detail ein bisschen später, in dem nächsten Beitrag dieser Reihe.

Als Zusammenfassung: in der ganzen Reihe der Beiträge zum guten Glauben möchten wir Sie insbesondere auf die Tatsache aufmerksam machen, dass die Umsatzsteuer nicht so kompliziert und schwierig bei der Abrechnung sein muss, wies es aufgrund der Rechtsstreite mit den Finanzämtern zu sein scheint. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem garantiert von der Annahme die volle Neutralität dieser Steuer, die nur in den Ausnahmefällen den Beschränkungen unterliegt, d.h. falls der Steuerpflichtige alleine einen Steuerbetrug begeht bzw. falls er zwar keinen Steuerbetrug begeht, aber beim Erwerb von Waren oder Dienstleistungen handelt er nicht gutgläubig. Das Risikomanagement in diesem Bereich kann effektiv sein – es genügt, es auf die richtig umgesetzten Verfahrensgrundsätze in dem Unternehmen zu stützen. Den Steuerpflichtigen kommen die Gerichte zur Hilfe – sowohl der Gerichtshof der Europäischen Union, als auch die inländischen Verwaltungsgerichte. Der Fiskus darf den Weg des geringsten Widerstandes nicht gehen und die Indolenz bei der Strafverfolgung der mutmaßlichen Betrüger durch das Quälen der ehrlichen Steuerpflichtigen nicht ersetzen. Die Voraussetzungen für den guten Glauben, die bei der Entwicklung solcher internen Verfahren berücksichtigt werden sollen, beschreibe ich in dem nächsten Beitrag dieser Reihe.

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