In diesem Beitrag erfahren Sie:
- was eine feste Niederlassung im Sinne von Mehrwertsteuervorschriften (eng. FE – fixed establishment) ist,
- worauf der EuGH in seinem Urteil vom 7. April 2022, Az. C-333/20, hingewiesen hat,
- welche Bedeutung für Mehrwertsteuerpflichtige die im EuGH-Urteil enthaltenen Leitlinien haben können.
Karolina BARTKOWIAK
Tax Supervisor bei RSM Poland
Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Weiteren auch: EuGH bzw. Gerichtshof) hat am 7. April 2022 das Urteil in der Rechtssache der rumänischen Gesellschaft Berlin Chemie A. Menarini SRL unter Beteiligung der deutschen Muttergesellschaft Berlin Chemie AG erlassen (Az. C-333/20) erlassen, das für das richtige Verständnis des Begriffs der festen Niederlassung (eng. FE – fixed establishment) von erheblicher Bedeutung sein kann.
EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C‑333/20
Der Sachverhalt in dieser Rechtssache betraf eine rumänische Gesellschaft mit Sitz in Bukarest, deren Haupttätigkeit die Managementberatung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation ist.
Der einzige Leistungsempfänger dieser Gesellschaft war die mit ihr verbundene deutsche Gesellschaft Berlin Chemie AG. Die einzige Gesellschafterin der rumänischen Gesellschaft war Berlin Chemie/Menarini Pharma GmbH mit Sitz in Deutschland, an der wiederum zu 95 % Berlin Chemie AG beteiligt war.
Diese Verflechtungen sprechen dafür, dass zwischen dem leistenden Unternehmer (Berlin Chemie A. Menarini SRL) und dem Leistungsempfänger (Berlin Chemie AG) zweifellos eine Art Abhängigkeit bestand.
Bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten für die deutsche Gesellschaft stellte ihr die rumänische Gesellschaft die betreffenden sonstigen Leistungen ohne Mehrwertsteuer in Rechnung, da sie davon ausging, dass sie für ein Unternehmen mit dem Sitz außerhalb Rumäniens (in Deutschland) erbracht werden. Die Abrechnung erfolgte also zu Nettopreisen im Rahmen der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) und der Leistungsempfänger war verpflichtet, die Mehrwertsteuer abzurechnen.
Die rumänische Finanzverwaltung stellte jedoch fest, dass deutsche Gesellschaft (Leistungsempfänger) eine feste Niederlassung in Rumänien hat. Dafür sprach die Tatsache, dass die rumänische Gesellschaft über eigene personelle und technische Ausstattung verfügte.
In einer solchen Konstellation würde die rumänische Gesellschaft sonstige Leistungen für die feste Niederlassung der deutschen Gesellschaft in demselben Land (Rumänien) erbringen, wodurch die Pflicht entstehen würde, die rumänische Mehrwertsteuer zum Nettopreis hinzurechnen.
Was ist feste Niederlassung im Sinne von Mehrwertsteuervorschriften?
An dieser Stelle lohnt es sich, daran zu erinnern, was eine feste Niederlassung ist.
Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt als feste Niederlassung jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.
Diese Definition setzt lediglich voraus, dass es in einem anderen Staat als dem, in dem der betreffende Steuerpflichtige ansässig ist, eine feste Geschäftseinrichtung geben kann, die sowohl externe Leistungen für ihre eigenen Zwecke in Anspruch nehmen als auch einen bestimmten Mehrwert erbringen kann. Eine solche Situation kann zur Folge haben, dass der Verbrauch bestimmter Waren oder Leistungen in dem Staat besteuert wird, in dem eine solche feste Geschäftseinrichtung vorliegt, und nicht in dem Staat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist. In den letzten Jahren sind jedoch ernsthafte Zweifel aufgekommen, ob eine solche feste Geschäftseinrichtung eine Tochtergesellschaft eines Unternehmens sein kann (also grundsätzlich ein separates Unternehmen und anderer Steuerpflichtiger).
Feste Niederlassungen in einem Mitgliedstaat
In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof im vorliegenden Urteil vom 7. April 2022 erneut darauf hingewiesen, dass das Vorliegen einer festen Niederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nicht aus dem bloßen Umstand hergeleitet werden kann, dass diese Gesellschaft dort eine Tochtergesellschaft besitzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Mai 2020, Dong Yang Electronics, C‑547/18, EU:C:2020:350, Rn. 33).
Darüber hinaus wies der EuGH darauf hin, dass die Voraussetzung für das Vorliegen der personellen und technischen Ausstattung, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit aufweist, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten festgestellt werden muss.
Zwar ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Steuerpflichtige über eigene personelle und technische Ausstattung verfügt, aber es ist erforderlich, dass er befugt ist, über diese personelle und technische Ausstattung in derselben Weise zu verfügen, als wäre sie seine eigene, beispielsweise auf der Grundlage von Dienstleistungs- oder Mietverträgen, durch die ihm diese Ausstattung zur Verfügung gestellt wird und die nicht kurzfristig gekündigt werden können.
Der EuGH hat auch angedeutet, dass eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Und es ist gerade diese Bedingung (d.h. die Möglichkeit, dass eine feste Niederlassung Dienstleistungen empfängt und verwendet, welche für den eigenen Bedarf erbracht werden), die für die Rechtsprechung der polnischen Gerichte und Finanzbehörden von Bedeutung sein kann, die sich bisher selten auf diesen Umstand konzentriert haben.
Es wurde festgestellt, dass persönliche und technische Ausstattung ausreichend sein soll, um Dienstleistungen zu empfangen, die von einem anderen Rechtsträger erbracht werden, da eine und dieselbe Ausstattung einer Einrichtung keine Dienstleistungen für sich selbst erbringen kann.
Bedeutung der EuGH-Entscheidung für Steuerpflichtige
In diesem konkreten Fall stellte der EuGH fest, dass in dem dargestellten Sachverhalt die deutsche Gesellschaft in Rumänien über eine feste Niederlassung nicht verfügt, weil sie in diesem Mitgliedstaat keine Struktur hat, die ihr erlaubt, dort von der rumänischen Gesellschaft erbrachte Dienstleistungen zu empfangen und diese für ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu verwenden.
Das Urteil des EuGH und die darin enthaltenen Erwägungen können daher die Argumente der Steuerpflichtigen bei Streitigkeiten mit den polnischen Finanzbehörden verstärken, die bestimmte Sachverhalte zunehmend als ein Anzeichen für die Entstehung einer festen Niederlassung von ausländischen Unternehmen im Hoheitsgebiet Polens einstufen.
Es ist dabei zu beachten, dass diese Frage von erheblicher praktischer Bedeutung ist, da sie sich nicht nur auf die steuerrechtliche Lage ausländischer Unternehmen, sondern auch – und vielleicht vor allem – auf die Richtigkeit der Abrechnungen von Unternehmen, die mit ihnen zusammenarbeiten, auswirkt. Wenn ein ausländisches Unternehmen keine feste Niederlassung in Polen hat, dann gilt als Ort der Besteuerung der Leistungserbringung das Land des Sitzes des Leistungsempfängers. Die Erbringung von Leistungen an eine feste Niederlassung in Polen bedeutet wiederum, dass dieser Umsatz in Polen der Mehrwertsteuer unterliegen sollte.
Wenn Sie sich über das Risiko der Entstehung einer FE im Hoheitsgebiet Polens individuell beraten lassen möchten, sprechen Sie uns an.
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