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Gerichte auf der Seite der Steuerpflichtigen – eine Übersicht der wahren Geschichten. Wird durch die Anfechtung einer fehlerhaft zugestellten Entscheidung eines Steuerfalls der Fehler der Finanzverwaltung geheilt?

Katarzyna STYPA-SADOWSKA

 

Tax Supervisor bei RSM Poland
 

Nur wenigen Steuerpflichtigen ist bewusst, dass Verfahrensvorschriften – d.h. Regelungen, wie eine steuerliche Vorprüfung, Betriebsprüfung, Zoll- und Außenprüfung sowie ein Steuerverfahren durchzuführen sind – genauso wichtig sind wie materielle Vorschriften – d.h. solche, nach denen der Steuerpflichtige seine Abrechnungen erstellen muss.

Was sind Verfahrensvorschriften und warum sind sie wichtig?

Verfahrensvorschriften definieren die Rechte und Pflichten der Finanzverwaltung und des Steuerpflichtigen, die u.a. während einer Betriebsprüfung oder eines Steuerverfahrens gelten. Sie bestimmen z.B. die geeignete Art und Weise für die Einleitung eines Steuerverfahrens und Zustellung der Schriftstücke an den Steuerpflichtigen während dieses Verfahrens.

Auf der Grundlage von Verfahrensvorschriften hat der Steuerpflichtige auch das Recht, einen Bevollmächtigten zu bestellen, der ihn vor der Finanzbehörde vertreten wird.

Verfahrensvorschriften sind ein äußerst wichtiger Teil des Steuerrechts und ein Verstoß der Finanzverwaltung gegen sie kann sogar dazu führen, dass die Steuerschuld des Steuerpflichtigen nicht ermittelt werden kann – selbst wenn der Fehler dieses Steuerpflichtigen unbestreitbar ist.

Niemand ist unfehlbar – denken Sie daran, dass auch Finanzverwaltung Fehler macht. Die Kenntnis von Verfahrensvorschriften und die Fähigkeit, sie anzuwenden, ist daher bei Streitigkeiten mit den Finanzbehörden von großem Vorteil.

Was kann man aus den Fehlern der Finanzverwaltung gewinnen?

Ein Beispiel für einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften ist das Versenden einer Mitteilung über die Aussetzung der Verjährungsfrist direkt an den Steuerpflichtigen und nicht an den von ihm bestellten Bevollmächtigten. In einer der früheren Teile unserer Beitragsreihe haben wir einen Fall beschrieben, in dem eine solche Situation aufgetreten ist. Aufgrund der festgestellten Unachtsamkeit der Beamten verjährte ein Teil der Abrechnungsfristen. Dies wiederum machte es dem Fiskus unmöglich, die Höhe der durch den Steuerpflichtigen zu zahlenden Steuer zu bestimmen und hatte zur Folge, dass er sich der Verpflichtung zur Nachzahlung der Steuer entzog.

Wem soll die Finanzverwaltung Schriftstücke zustellen?

Grundsätzlich sollte die Finanzverwaltung während einer Betriebsprüfung oder eines Steuerverfahrens alle Schriftstücke direkt dem Steuerpflichtigen zustellen. Als Ausnahme gilt die Situation, wenn er einen Bevollmächtigten in dem bestimmten Fall bestellt – dann sollte die Finanzverwaltung alle Korrespondenz an ihn senden.

Dies gilt auch für sog. Nebenverfahren bzw. Verfahren zum Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Trotz einiger Zweifel, die vor kurzem aufkamen, ist der Standpunkt der Gerichte in dieser Angelegenheit seit einigen Jahren einheitlich: alle Entscheidungen und Beschlüsse sollten in solchen Fällen dem  Bevollmächtigten zugestellt werden.

Was soll man tun, wenn die Entscheidung eines Steuerfalls fehlerhaft zugestellt wird?

Wenn die Entscheidung direkt dem Steuerpflichtigen und nicht seinem Bevollmächtigten zugestellt wird, gelangt sie nicht in den Rechtsverkehr – sie gilt nicht und kann nicht vollstreckt werden. Natürlich ist sich die Finanzverwaltung ihres Fehlers meistens nicht bewusst und führt weitere Tätigkeiten durch, als ob die von ihr erlassene Entscheidung bindend wäre.

Im Falle einer fehlerhaft zugestellten Entscheidung stehen Steuerpflichtige und Bevollmächtigte daher vor einer sehr schwierigen Wahl: ob sie erst dann protestieren sollen, wenn die Finanzverwaltung beginnt, das zu vollstrecken, was in der fehlerhaft zugestellten Entscheidung festgestellt wurde, oder ob sie sie sofort anfechten, z.B. indem sie gegen die Entscheidung Einspruch einlegen.

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Wird durch die Anfechtung einer fehlerhaft zugestellten Entscheidung der Fehler der Finanzverwaltung geheilt?

Bis vor kurzem war die Wahl eines geeigneten Zeitpunkts für die Anfechtung äußerst schwierig, weil die Urteile der Verwaltungsgerichte nicht einheitlich waren und in einigen davon darauf hingewiesen wurde, dass wenn der Steuerpflichtige eine solche Entscheidung angefochten hat, seine fehlerhafte Zustellung keine negativen Auswirkungen hatte. Einige Urteile gingen daher in die Richtung der These, dass die Einlegung eines Einspruchs im Wesentlichen den Fehler der Finanzbehörde heilt. In den Urteilen wurde darauf hingewiesen, dass sobald der Steuerpflichtige einen Rechtsbehelf einlegen konnte und dies rechtzeitig getan habe, dies bedeute, dass er keine Verluste im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Zustellung erlitten habe.

Infolgedessen mussten Steuerpflichtige und Bevollmächtigte überlegen, ob es besser ist:

  • die Entscheidung anzufechten und zu riskieren, dass die Finanzbehörde zweiter Instanz oder das Gericht feststellt, dass der Steuerpflichtige keine negativen Folgen erlitten hat, was dazu führen würde, dass die Entscheidung in Kraft bleibt,
  • die Entscheidung nicht anzufechten und Gefahr zu laufen, dass die Finanzbehörde und das Gericht entgegen der einheitlichen Rechtsprechungslinie nach der Anfechtung von Vollstreckungsmaßnahmen der Ansicht sind, dass die fehlerhafte Zustellung der Entscheidung mit ihrer Nichtgeltung nicht gleichzusetzen ist.

Wie äußerte sich das Oberste Verwaltungsgericht in der Besetzung von sieben Richtern zur Frage der fehlerhaften Zustellung von Schriftstücken?

Die Zweifel betreffend Vorgehensweise im Falle der fehlerhaft zugestellten Entscheidungen von Streitigkeiten wurden vom Obersten Verwaltungsgericht (NSA) in einem Beschluss vom 7. März 2022, Az. I FPS 4/22 ausgeräumt, der in der Besetzung von sieben Richtern erlassen wurde.

Das Gericht beantwortete die Frage, ob ein Verwaltungsakt (Beschluss zur vorläufigen Vollstreckbarkeit), der direkt dem Steuerpflichtigen anstelle des Bevollmächtigen zugestellt wird, als verbindlich angesehen werden kann, wenn der Steuerpflichtige (oder sein Bevollmächtigter) einen Rechtsbehelf (Einspruch) gegen ihn eingelegt hat. 

Das Oberste Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass eine solche fehlerhafte Zustellung dazu führt, dass die Entscheidung für nicht bindend erklärt wird – auch wenn eine Verfahrenspartei (oder ihr Bevollmächtigter) einen Einspruch gegen sie eingelegt hat.

Dieser Beschluss ist äußerst wichtig und zeigt, dass der Steuerpflichtige durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine fehlerhaft zugestellte Entscheidung den durch die Finanzverwaltung begangenen Fehler nicht heilt. Entscheidend sind nämlich die Umstände und die Tatsache, dass der Fehler überhaupt begangen wurde und die Verfahrensvorschriften verletzt wurden – nicht, ob der Steuerpflichtige negative Folgen der Unachtsamkeit der Steuerbehörde erlitten hat.

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